Kurz und gut: Roman von Elena Fischer, Janet Lewis und Gabriele Tergit

Elena Fischer credit Julia Sellmann Diogenes Verlag

Die Sounds & Books-Reviews zu Romanen von Elena Fischer, Janet Lewis und Gabriele Tergit

von Gérard Otremba

Die „Kurz und gut“-Rubrik bei Sounds & Books wird noch einmal mit Büchern gefüllt. Im Angebot haben wir den Debütroman „Paradise Garden“ von Elena Fischer, die deutsche Erstübersetzung von „Draußen die Welt“ der amerikanischen Schriftstellerin Janet Lewis sowie die Wiederentdeckung des Buches „Der erste Zug nach Berlin“ der deutschen Exilantin Gabriele Tergit.

Elena Fischer: Paradise Garden

Die 14-jährige Ich-Erzählerin Billie und ihre Mutter Marika wohnen in einer Sozialwohnung am Stadtrand von Frankfurt und kommen gerade so über die Runden. Beide träumen sie von einem ersten gemeinsamen Urlaub, als Billies ungarische Großmutter auftaucht und Chaos ins Leben der Mutter-Tochter-Beziehung bringt. Während eines Streits mit der Großmutter stirbt Billies Mutter infolge eines unglücklichen Unfalls. Bei ihrer Oma möchte Billie nicht bleiben, im Heim schon gar nicht, und so macht sie sich mit dem Nissan ihrer Mutter auf den Weg in den Norden, ans Meer, wo Marika einst gewohnt hat, und wo sie ihren unbekannten Vater vermutet.

Mit ihrem Debütroman „Paradise Garden“ stand Elena Fischer auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2023 sowie auf der Shortlist für das „Lieblingsbuch der Unabhängigen“ (Buchhandlungen). Zu recht. Elena Fischer hat einen berührenden, tragischen, gelegentlich auch witzigen Coming-of-Age-Roman geschrieben, in dem sie den Ton der erzählenden Teenagerin filigran trifft, ohne sich der Jugendsprache anbiedern zu müssen. Ein ähnlich schöner Herzensroman wie „Was man von hier aus sehen kann“ von Mariana Leky.

Elena Fischer: „Paradise Garden“, Diogenes, Hardcover, 350 Seiten, 978-3-257-07250-1, 23 Euro. (Beitragsbild: Elena Fischer von Julia Sellmann)

Janet Lewis: Draußen die Welt

Als eine wunderbare Entdeckung entpuppt sich „Draußen die Welt“ von Janet Lewis. In den USA bereits vor 80 Jahren erschienen, liegt dieser Roman nun erstmals in deutscher Sprache vor, kongenial übersetzt von Sylvia Spatz. Janet Lewis schildert darin das Leben der Anfang 50-jährigen Mary Perrault, die mit ihrer Familie im ländlichen Kalifornien lebt. Ein zunächst beschauliche Leben, das die Protagonistin vor immer größere Herausforderungen stellt. Zunächst stirbt ihre Freundin Anges bei einem Autounfall, dann bekommt ihre Familie die Folgen der Weltwirtschaftskrise von 1929 zu spüren. Doch Mary Perrault bleibt für alle der der ruhende Pol, die toughe Frau, die in rauen Zeiten mit ihrem humanistischen Weltbild eine Art moralische Instanz auftritt.

Janet Lewis lebte von 1899 bis 1998  und schrieb insgesamt nur vier Romane. Sie brilliert in „Draußen die Welt“ mit einem filigranen, natürlichen, emphatischen und präzisen Erzählstil, der die Leser schnell in ihren Bann schlägt. Überwältigende, häufig mit dem Plot im Einklang stehende Naturbeschreibungen treffen auf feinsinnige Charakterdarstellungen. Schlicht und ergreifend eine literarische Offenbarung.

Janet Lewis: „Draußen die Welt“, dtv, übersetzt von Sylvia Spitz, Hardcover, 368 Seiten, 978-3-423-28318-2, 24 Euro.

Gabriele Tergit: Der erste Zug nach Berlin

Die reiche 19-jährige Amerikanerin Maud steht kurz vor ihrer Hochzeit, als sie die Chance erhält, mit einer Journalisten-Delegation ins Nachkriegsdeutschland nach Berlin zu reisen. Auf ihrem dreimonatigen Trip muss die überaus naive Erzählerin erkennen, dass Deutschland militärisch zwar besiegt ist, sie nun aber auf etliche Ex-Nazis mit neuen Posten trifft. Bittere Erfahrungen macht Maud auch privat. Sie verliebt sich in einen Deutschen, der sich als ehemalige rechte Hand von Reichpropagandaminister Joseph Goebbels entpuppt. Gemeinsam mit dem älteren Journalisten Merton will sie in Berlin bleiben und für eine bessere Welt kämpfen, kann aber doch nicht über ihren eigenen Schatten springen, kehrt zurück in die USA und heiratet ihren Verlobten.

Die 1894 geborene Gabriele Tergit floh aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nach der Machtübernahme der Nazis aus Deutschland und kehrte nur für Besuche immer wieder nach Berlin zurück. „Der erste Zug nach Berlin“ gerät zu einer atemberaubenden, temporeichen und nachdenklich stimmenden Satire über das Nachkriegsdeutschland – erstmals nach dem Originalmanuskript in häufig wechselnd zwischen deutscher und englischer Sprache veröffentlicht. Eine hervorragende Wiederentdeckung.

Gabriele Tergit: „Der erste Zug nach Berlin“, Schöffling & Co., Hardcover, 210 Seiten, aus dem Nachlass herausgegeben und mit einem Nachwort Nicole Henneberg versehen, 978-3-89561-475-0,  22 Euro.          

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